Matthias Laurenz Gräff, Offizielle Webseite

Das Ende des HRR [Fragment]. 2023


"HRR", diese Abkürzung vermag nicht die Phantasie auf etwas Gewaltiges anzuregen, doch beinhalten diese drei Buchstaben die Geschichte Mitteleuropas wie keine andere Kombination von Buchstaben oder Wörtern. Dieses HRR, das 'Heilige Römische Reich' [ab der Neuzeit mit dem Zusatz 'Deutscher Nation') stand in legitimistischer Tradition des Römischen Reiches der Antike sowie des frühmittelalterlichen Frankenreiches Karl des Großen. Triebmotor und zugleich Bewahrer dieses in der europäischen Geschichte einzigartigen Gebildes war ab dem späten Mittelalter die Dynastie der Habsburger, das Haus Österreich. Die Reichsidee, die Kaiseridee des Universellen, wurde durch diese Familie wie keine andere versinnbildlicht, die diesen Komplex gegen innere und äußere Usurpatoren und Aggressoren aufrechterhielten. Im Kontrast und als Antithese zu den sich ausbildeten Nationalstaaten bewahrten diese das mehr und mehr anachronistisch gewordene Reich bis in das Jahr 1806. Diese Arbeit will sich nun mit der letzten Epoche dieses mitteleuropäischen Komplexes beschäftigen, der durch den Ausbruch der französischen Revolution 1789 eingeleitet wurde.

Anriss

Dem Autor war es glückhaft beschieden den historischen Erben der Römischen Majestät und des Kaisertum Österreich bei sich als Gast begrüßen zu können. Erbe sein bedeutet sich dem Ganzen in hoher Weise bewusst zu sein, es zu fühlen, empirisch zu verstehen, sich anzueignen ohne angeeignet zu werden, sich die Individualität zu bewahren. Diese Balance wird bei Habsburg sichtbar in seinem Familiensinn, der Verantwortung, seinem tief ausgeprägten Katholizismus sowie dem Interesse an diversen anderstwertigen Traditionen und Religionen, seiner polyglotten Natur und seinem Supranationalismus, seinem Faible für Historie und Geographie. Habsburg sieht und sucht aber genauso die friedliche Einigung Europas als seine große Aufgabe, sowohl den Schutz von durch Kriege gefährdeten Kulturgütern. Diese Attribute versinnbildlichen sich in der Person Karl von Habsburg in reliquienhaft anmutender als auch höchst zeitgemäßer Art. Aufgrund seiner Historie ist er in unserem Europa zuhause, denn Habsburgs langer Atem war nicht zu verschütten, weder durch die Faschisten noch durch die Kommunisten. Sein Haus war Sinnbild des Alten Reiches, deutsch und doch supranational, Mittler zwischen den Völkern und Kulturen, oftmals erweitert durch Heirat aber auch durch Kriege. Um also dieses Alte Reich zu verstehen, muss man Habsburg verstehen.

Was ist Habsburg?

Diese Frage nach dem Wesen des Hauses Habsburg mutiert zu einer Gewissenserforschung der historischen österreichischen Seele. Nach heutigen Maßstäben alemannische Schweizer traten sie 1278 im Osten des Alten Reiches (HRR) die Herrschaft in Österreich an. Mit der Übersiedlung aus einer geschlossenen schweizerisch-südostdeutschen Kulturlandschaft in den damaligen rauen Osten des Reiches vollzog sich allmählich der Schwerpunkt desselbigen an dessen Ostgrenze. Hier trat das Deutsche in ein Spannungsfeld mit seinen slawischen und hernach osmanischen Nachbarn als auch dem römischen Erbe Italiens. So wie das Reich sich an neue Gegebenheiten anpasste, assimilierte sich auch Habsburg, das sich erst hier zum globalen Haus Österreich entwickelte. Dies geschah wohlweislich auf diplomatischem Weg, denn die Mitglieder des Hauses waren wohl Visionäre und vom Südosten des Reiches gelangten sie ab dem späten 15. Jahrhundert in große Teile West- und Mitteleuropas und hernach auch auf den südamerikanischen Kontinent. Bald lag das Alte Reich im Zentrum des habsburgischen Machtbereiches. Das HRR war in seiner Eigenheit natürlich von deutscher Natur und Prägung, hatte aber trotzdem eine Supranationalität durch das sogenannte Reichsitalien, diverser Gebiete im Osten wie Böhmen und Schlesien, im Westen in den heutigen Benelux-Staaten sowie in Frankreich. Konnte dieses Konstrukt der Größe und Streben des Hauses Österreich standhalten, oder war es in seiner Beschaffung und Ausrichtung begrenzter als der habsburgische Pre-Imperialismus der Frühen Neuzeit? In diese atavistischen Schritte des HRR stiegen zuerst auch die Habsburger als kaiserliche Herren dieses Reiches, um deren eigenen Machtbereich hernach in wesentlich größerem Umfang - dem Casa Austria genannten Weltreich in dem die Sonne nicht unterging - zu prolongieren. Durch die Ausgestaltung des habsburgischen resp. österreichischen Länderkomplexes konnten sich die Habsburger parallel ein zweites Reich erschaffen, das kaiserliche Haus lebte fortan die Idee beider Reiche, des ererbten sowie des erschaffenen. Als Unterscheidung ist zu verstehen, dass die Habsburger im Reich nur die ersten unter gleichen waren und somit die Krone durch Kaiserwahl trugen - wenn auch annähernd exklusiv, kontrastierend hierzu aber im Länderkomplex ihrer Erblande - soweit diese wie Ungarn außerhalb des HRR lagen - sowie in den Besitztümern der Spanischen Krone die familiäre Erbfolge und somit ihre volle Souveränität innehatten. Nicht außer Acht lassen darf man den immensen religiösen Aspekt der Habsburgerherrschaft, den sie als wahrhafter Beschützer und Förderer des Glaubens in allen Teilen ihres Reiches propagierten, sei es mit Feuer und Schwert als auch durch Überzeugung und einer aktiven Art des Vorlebens. Die gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen und Strömungen waren das Gerüst und der Kitt der Dynastie. In diesem welthistorischen Spannungsbogen von Südamerika und Mittelamerika über Spanien und Portugal, den Niederlanden, Italien, dem Balkan, Ungarn, Böhmen, Polen, Deutschland bis hinein zu den österreichischen Ländern reifte das Haus Habsburg zu einer supranationalen Familie, einem Global Player, einem Weltkonzern, einer globalen Marke. Die Errungenschaften dieser Marke dienen der heutigen Republik Österreich zur Darstellung ihres Erbes, ihrer Kultur und Werte sowie in abgeschwächter Form in einer größtenteils touristischen Wertschöpfung als auch historischen Nostalgie in den Nachfolgestaaten der habsburgischen Donaumonarchie - dem Kaisertum Österreich sowie dem nachfolgenden Doppelstaat Österreich-Ungarn - in Mittel- Süd- und Osteuropa. Konträr verhält sich Habsburgs Einfluss auf die diversen Gebiete des heutigen Deutschlands, die den Bezug zur Dynastie größtenteils mit dem Ende des HRR im Jahre 1806 verloren, das heißt noch vor der Zeit des aufkommenden Nationalismus in den 1810er und 1820er Jahren. War die Verbindung der süddeutschen Staaten zum Kaiserhaus historisch stark verwurzelt, nicht nur aufgrund des Katholizismus, sondern auch dadurch, dass das Haus Österreich die traditionelle Schutzmacht dieser kleineren deutschen Gebilde darstellte, bestand sie zu den norddeutschen Staaten in loser Form. Diese hatten mit dem Kaiserhaus generell wenig gemein, da sie dem Handel zugeneigt und einer daraus resultierenden Selbstständigkeit verpflichtet waren, größtenteils protestantischer Konfession und sich politisch in den Nordwesten des Kontinents, nach Dänemark, Schweden oder auch England orientierten. Dieser nicht vorhandene als auch verlorengegangene Konnex wird auch durch das Fehlen von großen Ausstellungen und Veranstaltungen zum Thema Habsburg im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland dokumentiert. Als Conclusio ist es also so zu verstehen, dass Habsburg heutzutage essentiell im Alten Österreich, der Donaumonarchie zu finden ist, mit dessen Wesen und Bevölkerung sie verwandt wurde, vom Bodensee bis Kronstadt, von Mailand bis Lemberg, in Kultur und Geisteswissenschaft. In Konterdiktion hierauf verfallen große, oftmals politisch links stehende, aber auch rechts verortete Bevölkerungsgruppen in einen regelrechten 'Habsburgerkannibalismus', welcher der Österreichischen Historie, seinem Erbe und seiner Kulturgeschichte wohl nicht gerecht werden kann. Österreichs bedeutsamer sozialdemokratischer Staatsmann Bruno Kreisky, der wohl den Ausgleich zwischen den Blöcken der traditionell gesinnten Nostalgiker und Anhänger einer Erinnerungskultur sowie der Erz-Republikaner und gesellschaftlichen Erneuerer fand, meinte einmal diesbezüglich versöhnlich: „Meine Herren, es ist gar nicht leicht, ein guter Kaiser zu sein.“

Anfang eines Niederganges

Das Haus Österreich war sich bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts seiner aus der historischen Evolution erwachsenen Rolle als Träger und Bewahrer der auf der römischen Antike begründeten supranationalen Reichsidee bewusst, entwickelte aber ab der Mitte ebendieses Jahrhunderts eine Fokussierung auf die habsburgischen resp. österreichischen Erblande und ihre weiteren Besitzungen außerhalb des HRR. Im Laufe der Zeit führte der sich 1740 mit dem Ersten Schlesischen Krieg (Österreichischer Erbfolgekrieg) abzeichnende Dualismus der deutschen Gliedstaaten Österreich und Preußen, die eine ähnliche Entwicklung nahmen und schon im 17. Jahrhundert aus dem Reich richtiggehend herausgewachsen waren, zu einem schleichenden Verlust der Reichinteressen und somit der Reichseinheit. Vordergründig stand nun neben dieser innerdeutschen Divergenz die seit dem Westfälischen Frieden von 1648 geschwächte kaiserliche Zentralgewalt auf Kosten der einzelnen Gliedstaaten und deren konträre Interessen sowie eine schleichende Aushöhlung der Verfassung des Reiches. Aufgeheizt wurde dieses Spannungsfeld auch durch außereuropäische Mächte wie Frankreich und dem Osmanischen Reich. Das Alte Reich verkam aufgrund zum Ende des Jahrhunderts zu einem Anachronismus, dessen Reichsidee sich überlebt hatte, was sich auch in der Bevölkerung der Gliedstaaten widerspiegelte.

Chronologie der letzten Jahre

Das Ende des Alten Reiches wurde durch die Französische Revolution des Jahres 1789 sowie dem Aufstieg von Napoleon Bonaparte eingeleitet. In der Pillnitzer Punctation des Jahres 1791 vereinten sich Österreich und Preußen gegen das revolutionieren Frankreich, was somit in dem Ersten Koalitionskrieg mündete.

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